St. Johannis Friedhof in Nürnberg
Der St. Johannis Friedhof in Nürnberg
Für viele gehört der Stadtteil Johannis, im Westen Nürnbergs zwischen Burg und Pegnitz gelegen, zu den schönsten und atmosphärischsten der Stadt. Das historische Herz ist der St.-Johannis Friedhof, einer der bedeutendsten Begräbnisstätten Europas, der unter strengem Denkmalschutz steht.
Wer den Friedhof vom östlichen Eingang betritt, befindet sich sofort im historischen Teil des Friedhofes.
Zur Geschichte des St. Johannis Friedhof:
Ursprünglich wurde er etwa im 10./11. Jahrhundert als Ortsfriedhof des Dörfchens Johannis vor der westlichen Stadtmauer des mittelalterlichen Nürnbergs angelegt. Davon zeugt noch ein verloren wirkendes Tor vor der Johanniskirche, mitten auf dem Friedhof in der Nähe des Haupteingangs.
Die verstorbenen Nürnberger Bürger wurden damals noch innerhalb der Stadtmauern auf den Friedhöfen der Pfarrgemeinden St. Sebald und St. Lorenz beigesetzt.
Dies änderte sich, als im ausgehenden Mittelalter die Pest aus dem vorderen Orient in West- und Mitteleuropa sich verbreitete und ein Massensterben zur Folge hatte.
Da die Kirchgänger fürchteten, der Pesthauch könnte aus den Gräbern, die um die Kirchen lagen, aufsteigen und sie infizieren, beschloss der Rat im Jahre 1518, künftig die Toten nur noch vor der Stadtmauer zu begraben.
Für die Gemeinde St. Lorenz wurde der Rochusfriedhof nahe dem Spittlertor neu angelegt. Für die Bürger von St. Sebald wurde der bereits bestehende Johannisfriedhof erweitert.
Bereits seit dem 13. Jahrhundert, als die Kreuzritter die Lepra eingeschleppt hatten, gab es hier ein „Siechenkobel“, eine Art Spital für Leprakranke und einen kleinen Siechenkobelfriedhof. Die heutige Johanniskirche war damals die Siechenkobelkapelle. Mit dem Anlegen des Pestfriedhofs wurde in den Jahren 1513-1515 am östlichen Rand des heutigen Johannisfriedhofs eine kleine, spätgotische Rundkapelle erbaut, vermutlich von Hans Behaim d. Ä., die dem Pestheiligen St. Stephan geweiht wurde. In ihrem Inneren befindet sich in einer Nische die „Grablegung“ von Adam Kraft, die dieser 1507 als letzte der Kreuzwegstationen zwischen Burgschmietstraße und Johannisstraße schuf.
Nachdem die Pestepidemie vorüber war, kaufte die einflussreiche Patrizierfamilie Holzschuher die Kapelle als Familiengruft; daher ihr heutiger Nahme Holzschuher-Kapelle. Neben lukrativen Handelsbeziehungen wurde die Patrizierfamilie im Mittelalter bereits reich durch Müllentsorgung. Dies erzählt die Darstellung von hölzernen Stelzenschuhen im Familienwappen über dem Kapelleneingang – nur mit diesem Spezialschuhwerk ausgestattet, konnte man im Mittelalter unbeschadet durch den urbanen Unrat waten. Der Eingang zur Kapelle war übrigens nicht immer so niedrig. Erst im Laufe der Jahrhunderte erhöhte sich das Niveau des Friedhofs durch die vielen Bestattungen.
Seit dem 16. Jahrhunder liegt in St. Johannis neben der normalen Bürgerschicht auch die Prominenz der Stadt Nürnberg. Die Gräber der berühmten Söhne der Stadt wie Albrecht Dürer, Anselm Feuerbach, Hans Sachs oder Veit Stoß wären ohne die dezenten Hinweisschilder, Gräbernummerierung und Übersichtstafeln nicht aus dem einheitlichen Gräberfeld im historischen Teil auszumachen.
Gemäß dem Motto „Im Tode sind alle gleich“ durften die sandsteinernen Liege-Grabsteine, in exakter West-Ost-Ausrichtung, das Maß von 6x3 Nürnberger Werkschuhen (damals ca. 167x83 cm) nicht überschreiten.
Beim heutigen Friedhofsspaziergang nehmen einheitliche, der Jahreszeit entsprechende Pflanzschalen dem Grabsteinfeld die Strenge. Nach dem Winter leuchten beim Osterspaziergang gelbe, fröhliche Frühlingsblumen. Im Sommer blühen die vielen Rosenstöcke, denen der Friedhof auch den Beinamen „Rosenfriedhof“ zu verdanken hat. Buntes Herbstlaub schmückt die Gräber an düsteren Tagen auf seine Weise.
Über Herkunft, Beruf und Stand sowie Umgang mit dem Tod der jeweiligen Zeitgenossen berichten bei näherem Hinsehen kunstvolle Epitaphien auf den Steinblöcken. Anhand der Darstellungen wird deutlich, dass im Mittelalter der soziale Status eines Menschen durch sein Handwerk und die Familie, vor allem die Anzahl der Kinder definiert wurde. Die barocke Lebensfreude und ihre Vergänglichkeit wurden durch Seifen blasende Putti symbolisiert. Eines der prunkvollsten Barock-Epitaphien ist auf dem Familiengrab des Patriziers und Losungers (Bürgermeister) der Reichshauptstadt Nürnberg, Andreas Georg Paumgartner zu bewundern. Unter Familienwappen, Symbolen und Inschrift ruht ein auffälliger, bronzener Totenschädel auf zwei gekreuzten Knochen, dessen Kiefer sich mit Scharnieren auf und zu klappen lässt (wer es klappern lassen will – nur ran!). In der Stirn des Schädels befindet sich ein Loch. Angeblich soll der hier 1686 Bestattete von seiner Ehefrau mit einem Nagel ins Schläfenbein ermordet worden sein. Die mysteriös-amüsante Mordgeschichte zu diesem Grab inspirierte wohl die Nürnberger Autorin Lena Bloom zu ihrem lokalen Friedhofskrimi „Rosen in St. Johannis“ (Fouqué Literaturverlag Frankfurt a. M., 11. Aufl. 2008).
Direkt daneben befindet sich die Johanniskirche mit ihrer auffälligen ochsenblutroten Fassade inmitten des alten Friedhofes. Die besagte ehemalige Kapelle für Lepra-Kranke (wurde 1238 als Krankenkapelle vom Papst abgesegnet) wurde in zwei Etappen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fertig gestellt und geweiht (1377 Chorraum, 1395 Langschiff). Im Jahre 1446 wurde die Sakristei angebaut. Von der reichen Ausstattung ist besonders der gotische Hochaltar erwähnenswert. Er stammt aus den Jahren 1511-1516 und weist Gemälde des Dürer-Schülers Wolf Traut auf. Die Johanniskirche überstand als einzige Kirche Nürnbergs den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet.
Weiter zur Westmauer des Friedhofes kommt man von der Leichenhalle zu den Arkaden. In dieser ehemaligen Schanzanlage befinden sich in Boden und Wänden eingehauene Grüfte einiger reicher Nürnberger Familien.
Im Gegensatz zu der streng vorgegebenen Einheitlichkeit des alten Teils zeigt der neuere Bereich in der südlichen Hälfte eine Vielfalt an Grabstein-Kultur durch die letzten beiden Jahrhunderte. Mit hoch in den Himmel ragenden Erzengeln und Kreuzen bis zu schlichten modernen Grabsteinen drückt hier jeder Verblichene post mortem seinen Individualismus aus. Wer was war, zeigt es hier der Nachwelt. Das Grabmal der Industriellenfamilie Cramer-Klett ist beispielsweise von ausschweifendem Monumentalismus. Doch dieser Teil steht nicht für die Einzigartigkeit des Johannisfriedhofes.
An dieser Stelle soll an die vielen berühmten Köpfe Nürnbergs erinnert werden, die während der letzten Jahrhunderte ihre letzte Ruhestätte auf dem „Rosenfriedhof“ gefunden haben, wie z.B.: Albrecht Dürer (Renaissance-Künstler), Jacob Daniel Burgschmiet (Bildhauer, Erzgießer), Anselm Feuerbach (Maler), Veit Stoß (Bildhauer), Veit Hirsvogel (Glasmaler), Georg Friedrich Harsdörffer (Dichter, pegnesischer Blumenorden), Adam Kraft (Bildhauer/Baumeister), Willibald Pirckheimer (Humanist), Hans Sachs (Schuhmacher/Meistersinger), Joachim von Sandrart (Maler/Kupferstecher), Martin Behaim (Kartograf, Globus), (Johannes Scharrer (Bürgermeister), William Wilson (1. Lokomotivführer Adler Ludwigs-Eisenbahn Nürnberg-Fürth) Theodor von Cramer-Klett (Industrieller), Kevin Coyne (Rockmusiker, Maler, Autor) und viele andere.
Nach diesem Ausflug in die kulturhistorische Morbidität des Stadtteils findet man mit Verlassen des Friedhofs in und um die Johannisstraße mit ihren Cafés, Gaststätten und kleinen Geschäften schnell wieder zu den Lebenden. Wem die Sinne noch nach barockem Lebensgefühl stehen, dem empfiehlt sich ein paar Schritte weiter, beim kulinarischen Barockhäusle den Barock- und Hesperieden-Garten zu besuchen.
Autorin: Silke Hillegeist
Unsere Autorin Silke Hillegeist ist Journalistin BJV, Werbetexterin und Lektorin. Als Theaterwissenschaftlerin M.A. und Kunstgeschichtlerin interessiert sich die Nürnbergerin mit einem Faible für Friedhöfe speziell für Kultur(-geschichte) und Lebensart ihrer Heimatstadt und Umgebung.