Weimarer Filmstills

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Im Verlag Scheidegger & Spiess ist in Zusammenarbeit mit der Stiftung Ann und Jürgen Wilde, der Pinakothek der Moderne München und dem Museum Folkwang Essen eine Monografie über die Fotokünstlerin Aenne Biermann erschienen. Die phantasieanregenden Bildkompositionen der Vertreterin der "Neuen Sachlichkeit" faszinieren noch heute. 

Beim langsamen Betrachten des großformatig und unaufgeregt gestalteten Fotobandes „Aenne Biermann. Fotografin“ kommen einem zwei Künstler in den Sinn, die ebenso wie Biermann ihre Umwelt in schwarz und weiß kunstvoll in Szene zu setzen verstanden. Da ist auf der einen Seite Biermanns Zeitgenosse László Moholy-Nagy (sein bauhausbuch „Malerei Fotografie Licht“ von 1925 dürfte ihr bekannt gewesen sein), und da ist auf der anderen Seite Vivian Maier, die, wenn auch erst nach Biermanns Tod, aber ebenso als Autodidaktin die „Dokumentation ihres alltäglichen Lebens“ in den USA in zahlreichen Motiven meisterte. Gemeinsam ist den beiden Frauen der zuweilen selbstironische Blick, was sich nicht zuletzt in den Selbstporträts spiegelt.

Biermanns "Menschen am Sonntag"

Die Parallelen bei Biermann und Moholy-Nagy liegen vor allem in der bewussten Rahmung der Objekte: Moholy-Nagys beeindruckende Vogelperspektiven und Biermanns nicht minder fesselnde Nähe, die zur genaueren Betrachtung auffordert. Schräge Perspektiven, Doppelbelichtungen, bedrückende Ausschnitte, brennende Ränder, Kombinationen und Multiplikationen: Nicht selten sind die Bilder filmisch, man denke nur an das „Porträt mit Boulevard de la Grande-Armée“ von 1931, das wie ein Filmstill aus einem expressionistischen Streifen anmutet. Die scheinbar belanglosen Dinge (Würfel, ein in der Pfanne schwimmendes Spiegelei, Pflanzen, Aktaufnahmen und besonders der Hosentascheninhalt ihres Sohnes Gerd) erzählen alle eine Geschichte, die imstande ist, unsere Phantasie anzuregen. Biermanns „Menschen am Sonntag“ (auch diese Referenz an den Stummfilm von 1930 muss erlaubt sein) verkörpern die Welt der Weimarer Republik ehrlicher und angemessener als zum Beispiel zeitgenössische Blockbustervergehen à la „Berlin Babylon“.  

Profunde Expertisen und Essays

Doch Aenne Biermanns fotografischer Nachlass ist leider nicht vollständig. Noch bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, starb die Künstlerin im Januar 1933 34jährig an einem Leberleiden. Die Verfolgung und Enteignung ihrer jüdischen Familie erlebte sie nicht mehr. Ihr Mann und die Kinder konnten nach Palästina emigrieren. Das 3000 Negative umfassende Archiv aber wurde beschlagnahmt und gilt seither als verschollen. Rund 100 Fotos wurden 2019 in der Pinakothek der Moderne München präsentiert, darunter 60 Werke, die bereits in Biermanns Werkschau im Jahr 1930 veröffentlicht wurden.

Die nun vorliegende Monografie, erschienen im Verlag Scheidegger & Spiess, versammelt neben diesen modernen und zeitlosen Motiven weitere Einblicke sowie profunde Expertisen und Essays zum Leben und Werk dieser bemerkenswerten Fotografin, die nicht nur als Vertreterin der „Neuen Sachlichkeit“ uns noch lange in Erinnerung bleiben sollte.  

Aenne Biermann. Fotografin

Herausgegeben von Simone Förster und Thomas Seelig. Mit Beiträgen von Simone Förster, Olivier Lugon, Stefanie Odenthal, Rainer Stamm, Katharina Täschner und Anna Volz

1. Auflage, 2020. Broschiert

184 Seiten, 68 farbige und 35 Schwarzweißabbildungen

21 x 28 cm

ISBN 978-3-85881-673-3

Verlag Scheidegger & Spiess

Zur Künstlerin

Aenne Biermann ist am 3. März 1898 in Goch am Niederrhein als Anna Sibylla Sternefeld geboren, gestorben ist sie am 14. Januar 1933 in Gera. Sie war eine deutsche Fotografin der Neuen Sachlichkeit.

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