Gerichte mit Geschichte

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Alles hat zwei Seiten - auch die Integration. Nach außen, im Makrokosmos Speichersdorf, scheint sie gelungen, wie Longares Bäumler bei der Buchpräsentation zurecht resümierte. 

Aber sind die Menschen mit ausländischen Wurzeln auch für sich in Speichersdorf angekommen? Fühlen sie sich hier zuhause? Empfinden sie Speichersdorf als Heimat? Fühlen sie sich hier wohl? Sind sie eingebunden in das gesellschaftliche Leben? Haben sich ihre Erwartungen erfüllt? 

Wer in dem Büchlein stöbert und die Lebensgeschichten liest, wird zumindest an manchen Stellen nachdenklich. So etwa bei der 48-jährigen Anna aus Kenia, die seit 14 Jahren in Deutschland lebt und in Windischenlaibach verheiratet ist. In Kenia war den ganzen Tag immer aus der Familie oder der Nachbarschaft jemand da. "In Windischenlaibach ist Anna allein", ist da zu lesen. Anschluss habe sie keinen gefunden. Sie sitze in der Wohnung, wartee, dass ihr Mann von der Arbeit komme. Wohl auch deshalb hat sie fest im Blick, irgendwann zurückzugehen.

Da ist auch der 18-Jährige Ali Semary, der als minderjähriger Flüchtling aus Ägypten über Lybien und Italien nach Deutschland kam. Hier wollte er weiter lernen und arbeiten. Und er lernte Deutsch und das Kochen und ergatterte eine Ausbildungsstelle in Speichersdorf. Trotzdem wurde sein Asylantrag abgelehnt. „Ich habe alles getan, aber ich habe keine Chance“, wird er in dem Kochbuch zitiert. Er wurde ausgewiesen. Sein Aufenthaltsort ist derzeit unbekannt!

Wieder anders verhält es sich bei Aintha, 40 Jahre, aus Thailand. Er ist in Speichersdorf mit einem Mann verheiratet. "In Deutschland angekommen besuchte Aintha einen Integrationskurs. Integriert fühlt er sich dennoch kaum." Ist es für ihn noch ok, nicht so viele Freunde zu haben oder nicht so viele Leute in Speichersdorf zu kennen, so leidet er darunter, keinen Arbeitsplatz zu haben. Nur ab und zu gibt es irgendwo Aushilfsjobs.

Für Ava Lex aus Honduras waren die ersten Jahr eine Tortur. Seit 2001 in Deutschland und heute in Feilersdorf zuhause empfand sie ihre neue Heimat als kalt, grau, ungemütlich, dunkel. Das Leben draussen hatte sie mit einem Leben drinnen tauschen müssen. "Regelrecht verkrochen habe sie sich. Unter der warmen Bettdecke schloss sie das kalte, unwirtliche Deutschland aus, träumte sich nach Hause", ist über die ersten Jahre zu lesen. Erst ein Integrationskurs und die Mitgliedschaft in der interkulturellen Kochgruppe haben sie ansatzweise heimisch werden lassen. "Ihre eigentliche Heimat bewahrte sie sich trotzdem", unter anderem durch einen „Latino-Zirkel“ mit Menschen aus dem Süden: „Das ist ein Stück Heimat für mich hier.“

Auf der Suche nach einem besseren Leben fand die Familie von Ioana Motoc aus Rumänien in Chemnitz nicht was sie vermisste: eine Heimat. Erst in Speichersdorf, auch wenn hier der Start alles andere als leicht war, redeten die Leute mit ihr. zwar auf Englisch , aber immerhin. Hier lernte sie ihre neue Heimat auch über die Küche kennen. Doch die Sehnsucht nach Rumänien blieb. 

Ihre Familie und Freunde in Syrien zurücklassen mußte 2015 die sechsköpfige Familie Sharabis, weil dort Krieg herrschte. Sie mögen Speichersdorf. „Wir haben hier alles. Ruhe, einen Kindergarten, die Schule. Frieden", sagen die Eltern. Doch: "Auch wenn die Speichersdorfer sie freundlich begrüßt hätten, Heimat ist hier nicht", ist in dem Buch zu lesen. Dennoch soll das Opferfest im Rahmen der Möglichkeiten stattfinden.

Fazil Yilmaz aus Diyarbakir im Südosten der Türkei ging 2001 als Austauschstudent nach Paderborn, und blieb. Er studiert Deutsch als Fremdsprache, und heiratete 2002 Ayse aus Speichersdorf. Zwei Söhne haben sie zwischenzeitlich. Die Schuld des türkischen Präsidenten sei es, so ist zu lesen, dass die Fazil Yilmaz‘ Familie (sie gehören zu den Aleviten) nach wie vor in Deutschland lebt. "Sie würden nämlich gerne in der Türkei leben. ´Heimat bleibt immer Heimat´, sagt er und spricht davon, dass sein Leben immer mit Sehnsucht gefüllt ist, Sehnsucht nach daheim. Mal ist sie stärker, mal schwächer. Weg ist sie nie." 

Einsamkeit war auch für Ksiri Saliha aus Marokko lange Jahre ein stiller Begleiter. Die Mutter ist verstorben. Ihre sechs Geschwister vermisst sie sehr. Seit fast sechs Jahren lebt sie in Zeulenreuth, verheiratet mit einem Arzt mit jemenitischen und slowakischen Paß. Anschluss fand sie kaum, erzählt sie. Auch zu den Zeulenreuthern fand sie keinen Kontakt. Arbeit ebenso nicht, obwohl Computertechnikerin. Erst mit der Geburt Tochter 2016 wurde es etwas leichter. "Trotzdem fühlt sie sich nach wie vor nicht richtig daheim", sagt sie.

Obwohl schon die Eltern der Mutter in Speichersdorf lebten, fühlte sich auch Eugenia Brehm lange allein. Jahrgang 1980 wuchs sie in Kasachstan in der ehemaligen Hauptstadt Astana auf. 

Mit ihrer Mutter verließ sie ihre Heimat. Lange vermisste sie die Metropole, von der sie kam. Im ländlichen Speichersdorf war alles so ganz anders. „Hier war nichts los“, sagt sie. Erst als sie Bauzeichnerin lernte, einen guten Arbeitsplatz fand, und ihren heutigen Mann, mit dem sie fünf Kinder hat, sollte sie Wurzeln schlagen.

"Integration ist kein abgeschlossener Prozess. Es braucht tagtäglich immer wieder neue Anstrengungen und einen langen Atem", so Dolores Longares Bäumler. Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Integrationsarbeit leistet das jüngst präsentierte Buch des Sozialraumteams „Gerichte mit Geschichte“, das Kochgeschichten über Menschen mit ausländischen Wurzeln in Speichersdorf erzählt.

"Wer zusammen am Tisch sitzt, ist kein Fremder mehr“, heißt es im Vorwort des Büchleins, das im Zuge des Projekts Demokratie leben entstand. Es wurde von Ulrike Sommerer, Dolores Longares-Bäumler und Christian Porsch herausgegeben. Sie hatten auch ins katholische Pfarrheim eingeladen, um es der Öffentlichkeit vorzustellen. Hintergrund ist, dass es in der 5700 Einwohner zählenden Großgemeinde im Landkreis Bayreuth knapp 30 Nationen leben. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg waren Flüchtlinge und Vertriebene nach Kirchenlaibach und Speichersdorf gekommen. In den 60er Jahren kamen Gastarbeiter aus der Türkei hinzu. In den 90er Jahren Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Unter den vielen Nationalitäten finden sich auch US-Amerikaner, die im Dienst des US-Militärs auf dem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr stehen, finden immer wieder vorübergehend eine neue Heimat in Speichersdorf. Vor allem für den seit den 90er Jahren erfolgreichen Integrationsprozess brauchte es, auch aufgrund immer wieder dramatischer Rückschläge, teils einen langen Atem. Wesentlichen Anteil hatte der Caritasverband, der seit 1993 vor Ort war und hauptamtlich die Integrationsarbeit übernommen hatte. "Integrationsarbeit ist ein wechselseitiger Prozess und bedarf vieler Unterstützer", so Integrationsbeauftragte Dolores Longares Bäumler. Viele Ehrenamtliche und viele Vereine haben zu einer gelungenen Integration beitragen. So wurde 2003 das mittlerweile sechsmal organisiert Feste der Kulturen und der Jugendtreff ins Leben gerufen.

Einen wichtigen Beitrag unter allen Integrationsbemühungen, um vor allem aus den krisengeschüttelten 90er Jahren ein Miteinander werden zu lassen, leistete die von Longares Bäumler im Januar 2011 gegründete interkulturelle Kochgruppe. Interessierte Frauen aus verschiedenen Ländern wie Rumänien, China, Amerika, Honduras, Russland, Kasachstan, Marokko, Spanien, Polen und Türkei wollten Rezepte kochen, die aus anderen Ländern kommen. Positiver Nebeneffekt: Gemeinsames Kochen bringt Menschen zusammen und beim Kochen lernte man sich untereinander und gleichzeitig das Land des anderen mit all seinen Traditionen und Esskulturen kennen. „Wir haben schon 62-mal miteinander gekocht, und mittlerweile sind tiefe Freundschaften entstanden“, berichtete sie. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung, wenn man sich braucht, seien selbstverständlich geworden. Unterstützt wurden auch verschiedene Feierlichkeiten und Feste.

Eine Errungenschaft der Kochgruppe war ein erstes „Kochbuch der Kulturen“, eine Rezeptesammlung in gebundener Form. Danach folgte im Jahr 2015 das Buch „Angekommen“ über die Speichersdorfer Familien mit ausländischen Wurzeln. Auch das jetzt erschienene, knapp fünfzig Seiten umfassende Büchlein „Gerichte mit Geschichte“ will beitragen, etwas über andere Länder und Kulturen zu erfahren. Dazu will das Kochbuch „Gerichte mit Geschichte“ anregen. Es erzählt Kochgeschichten über neun Menschen mit ausländischen Wurzeln in Speichersdorf. Ulrike Sommerer hat ausgewählte Lieblingsgerichte von neun Speichersdorfern mit Migrationshintergrund als Aufhänger genommen und dazu auch die Geschichten der Menschen hinter den Rezepten aufgeschrieben. So finden sich in dem Buch völlig verschiedene Lebensläufe und Schicksale skizziert. Gewürzt am Ende mit Rezepten aus deren Heimat, mit denen sich viele Erinnerungen verbinden, wie etwa an diesem Abend das Interview mit Ava Lex aus Honduras zeigte. Die Idee zu dem interkulturellen Kochbuch ist bereits kurz nach Weihnachten 2017 entstanden, wie Christian Porsch bei der Buchpräsentation im katholischen Pfarrheim erzählte. Die Umsetzung dauerte fast zwei Jahre. Er dankte allen Porträtierten für die Bereitschaft, Einblicke in ihre Küchen und ihr Leben gewährt zu haben.

Mit dabei ist auch die in Speichersdorf lebende gebürtige Kenianerin Anna Lehner mit dem Maisgericht Ugali, Ioana Motoc (Rumänien) mit dem Maismehlgericht mit geräucherten Würsten und Käse und Ali Semary (Ägypten) mit einem pikante Pfannkuchen die mit Rinderhack, Zwiebeln, Paprika, Tomaten und geriebenem Käse serviert werden. Ein Auberginenpüree steuerte die Familie ShaRabi, Thai-Curry mit Hähnchen Roland Scheurer und Aintha Longehin (Thailand), das Tilapia (Fisch-Filet) Ava Lex (Honduras) bei. Unter den zwölf porträtierten Speichersdorfern sind auch Bürgermeister Manfred Porsch (Karpfenfilets), Pfarrer Sven Grillmeier („Erdäpfel ganz und haaß“) und die Schwestern Waltraud Prischenk und Beatrix Riedel (Salatvariationen aus Omas Zeiten). Ein Rezept für Hähnchen nach syrischer Art findet sich von Familie ShaRabi und für Reis mit Hühnchen von Ksiri Saliha.

"Für mich ist Integration gelungen, wenn man darüber gar nicht mehr reden muss, sondern wenn Menschen respektvoll und ohne jegliches Vorurteil nebeneinander ohne Gewalt und Konflikte leben können", so Longares Bäumler zum Abschluss. In Speichersdorf könne man ganz klar sagen, die Integration sei gelungen. „Wenn man die Welt kennenlernen will, muss man nach Speichersdorf kommen!" Sicher gebe es immer wieder mal den ein oder anderen Streit oder sogar auch Straftat. Aber das habe nichts unbedingt mit den unterschiedlichen Herkunftsländern zu tun, meinte sie. Das finde sich auch unter Nachbarn, die deutsch sind und hier seit Kindheit leben und aufgewachsen seien.

„Gerichte mit Geschichte“, herausgegeben von Ulrike Sommerer, Dolores Longares-Bäumler und Christian Porsch.

Erhältlich für zehn Euro im Speichersdorfer Rathaus und beim Verlag Eckhard Bodner (Pressath). ISBN: 978-3-939247-62-3.

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