Wie tickt die Zeit?
Buchtipp von Bayern online: Ausgesetzte Zeiten – Nachdenken über den Lauf der Dinge. Erschienen im Verlag wbg Theiss.
"... steigern Sie Ihre Augenblicke ... unser Leben währet 24 Stunden, und wenn es hochkommt, war es eine Kongestion."
Gottfried Benn
Einstein wusste: Zeit ist relativ. Dass Zeit insbesondere auch eine subjektive Größe ist, die sich negativ wie positiv auf den Menschen auswirken kann, behandeln insgesamt vierzehn Essays, erschienen im Band "Ausgesetzte Zeiten", zusammengestellt von Aleida Assmann und Andreas Dörpinghaus.
Die Zeitenthobenheit intensiver Zeit-Räume
Die Frage nach dem Wesen der Zeit ist eine Frage, die sich uns nicht erst seit dem Ausbruch der Pandemie stellt. Wie tickt sie? Und wie ticken wir? Ist unser Verhalten den Zeitumständen immer angemessen? Wie schwer es ist, den Begriff der Zeit einzuschätzen, wusste schon Augustinus. In seinen Bekenntnissen (397 bis 401 n. Chr.) gesteht er: "Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich aber einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht." Besonders dann, wenn die Gegenwart auf dem Prüfstein steht. Entweder ist alles Gegenwart – oder nichts. Auch dieses Empfinden bleibt subjektiv. "Die Erinnerungsarbeit", so heißt es im Kapitel "Anachronistische Betrachtungen", "verwechselt immer die Zeiten." Und wir als Individuen sind mittendrin. Gefangen in einer Klammer aus Vergangenheit und Zukunft. Lediglich in der Zeitenthobenheit intensiver Zeit-Räume (wie zum Beispiel im Stadion bei einem spannenden Fußballspiel oder auf einer Safari im Urlaub), in denen Vergangenheit und Zukunft ausgeschlossen bleiben, kann die Jetzt-Zeit erfahren werden – die Zeit steht gleichsam still, wenn auch nur für Momente.
Das ganze Unglück der Menschen: Nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können
Das Buch gibt zahlreiche Denkanstöße. Es sind erhellende Essays, garniert mit (literarischen) Querverweisen. Von unzeitgemäßen Menschen, die der Neuzeit misstrauen, ist die Rede (sind sie ihrer Zeit gar voraus?). Von Trickstern, die den Frieden stören und feste Zeitstrukturen infrage stellen. Von günstigen Gelegenheiten und den Zeitabschnitten, die weniger wirtschaftlich betrachtet werden sollen: dem Wert der Kontemplation.
"Wir müssen das Ausschwingenlassen wieder lernen", heißt es am Ende des Aufsatzes mit dem Titel "Was ist Langeweile?" Leerlauf ist keine Schande. In der Ruhe liegt die Kraft – und nicht selten wird aus dem zwanghaften Überpinseln der "langen Weile" durch allerlei Zerstreuungen, wie es Blaise Pascal bei seinen Zeitgenossen monierte, eine oberflächliche Rechtfertigung der "inneren Leere".
Assmann, Aleida / Dörpinghaus, Andreas (Hrsg.)
Ausgesetzte Zeiten – Nachdenken über den Lauf der Dinge
ISBN 978-3-8062-4306-2
192 Seiten
Verlag wbg Theiss (hier können Sie das Buch direkt beim Verlag bestellen)