Von der Welt Anfang und Ende

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In der BÜCHERGILDE sind die geozentrischen Dramenbilder zu Richard Wagners "Ring des Nibelungen" aus der Feder des Illustrators Martin Stark in einem goldbezogenen Schuber erschienen. 

Vielleicht ging es dem Künstler bei der Gestaltung dieser großformatigen Wimmelbilder auch darum, sich selbst einen Überblick zu verschaffen über diesen fulminanten Opernzyklus, der auch heute noch viele Regisseure in den Wahnsinn treibt. Richard Wagner selbst wird so vorgegangen sein, und auch J.R.R. Tolkien hat seine Fantasiewelt Mittelerde und die darin spielenden Figuren in detaillierten Landkarten und Stammbäumen gruppiert. Martin Stark hat sich an diesen Arbeiten ohne Zweifel ein Beispiel genommen und seinen expressionistischen "Ring" ebenso geographisch ausgebreitet. Auf der Rückseite der vier "Handlungsblätter" findet der Betrachter das gesamte Libretto des jeweiligen Stückes inklusive kurzer Zusammenfassung. Auf einem fünften Bogen sind eine Stammtafel sowie Hinweise zu handelnden Personen und dem Orchester verewigt.  

"Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!" - Die Drei Rheintöchter im „Rheingold“ 

Bereits am Vorabend des Bühnenfestspiels gibt Wagner die Orientierung und Fahrtrichtung vor. Im "Rheingold" werden fließend die vier Elemente "Wasser" (Rhein, Rheintöchter), "Feuer" (Schmiede, Loge), "Erde" (Wälder, Nibelheim, Alberich und die Riesen) und "Luft" (der Götterhimmel, Walhall) beschrieben - und somit aber auch ganz klare Trennlinien benannt, die nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören sind. Nicht zuletzt hielt sich der Dichterkomponist Richard Wagner mehr oder weniger streng an die antike und mittelalterliche Lehre, wonach der gesamte Kosmos aus den oben erwähnten vier Elementen bestehe. Sein Vorbild bei der Schilderung seiner Geschichte "von der Welt Anfang und Ende" waren die Götter- und Heldensagen aus der "Edda", mehr noch als Dantes Weltbilder in der "Göttlichen Komödie" mit Hölle, Purgatorium und Paradies. In der Lieder-Edda, wie auch später in der Prosafassung, erscheint zum ersten Mal der auch bei Wagner erscheinende Weltenbaum sowie die später vereinfachte Zuweisung von Niflheim - Muspellsheim - Jötunheim - Asenheim. In der Mitte das allzu Irdische, dazwischen der Mensch, der nach oben strebt, aber nicht allzu selten nach unten fällt. Das alles muss man wissen, damit man sich als Spaziergänger oder Wanderer auf den schwarzweißen, gelegentlich vergoldeten Bilderbögen Martin Starks räumlich, zeitlich und inhaltlich nicht verläuft.     

„Jetzt lese ich jeden Morgen, ehe ich an die Arbeit gehe, einen Gesang Dante; noch stecke ich tief in der Hölle; ihre Grausen begleiten mich in der Ausführung des zweiten Aktes der Walküre“ - Richard Wagner

Hier prangt sie, die bereits erwähnte "Weltesche". Nicht nur an der "Walküre" wird deutlich, warum der Filmregisseur Lars von Trier im Jahr 2006 dann doch davor zurückschreckte, den "Ring" in Bayreuth zu inszenieren. Weil er zum Perfektionismus neigt, und weil sein minutiöses Drehbuch auf der Bühne nicht hätte umgesetzt werden können. "Ich denke, dass alles, was was am ,Ring' interessant ist, nicht gesehen werden kann", so schrieb er in einer "Abtretungsurkunde", „also folgerte ich, dass sich die ultimative Inszenierung in totaler Finsternis abspielen müsste." Mit dem damaligen Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner, freilich nicht zu machen. Vielleicht hat Lars von Trier aber Recht. Vielleicht kann vieles von dem, was Wagner da in seinen Regieanweisungen formulierte, auch unsichtbar bleiben, wie ja auch sein Orchester im Graben für Publikum und Sänger nicht zu erkennen ist. Martin Stark hat es da etwas einfacher. Gegen den Uhrzeigersinn verfolgt der Betrachter kompakt diesen ersten Tag der Tetralogie und all die in Szene gesetzten Abenteuer.

„Wand’rer heisst mich die Welt, weit wandert‘ ich schon: auf der Erde Rücken rührt‘ ich mich viel!“ - Wanderer im „Siegfried“

Mit der wachsenden Spieldauer der Opern - von 2,5 Stunden (Rheingold) bis 5 Stunden (Götterdämmerung) - vergrößern sich auch die Drucke. "Siegfried" misst fast einen halben Quadratmeter und mutet an wie eine Trekkingtour durch Wälder und über Berge. In dieser Geschichte wird das Schwert Nothung geschmiedet, der Lindwurm getötet und schlussendlich Brünnhilde aus dem Feuerkreis gerettet. Der Parforceritt Siegfrieds ist so detailreich wie an einigen Stellen auch witzig. Die holzschnittartigen, kubistischen Figuren und Schauplätze werden spielerisch zum Leben erweckt. Es sind fantastische Bilder, die in Erinnerung bleiben und immer wieder neu entdeckt werden dürfen.     

"Zurück vom Ring!" - Hagen in der „Götterdämmerung“

Auch "Götterdämmerung" ist so eine "sprachlose Erschütterung" (Wagner selbst), die Martin Stark als veritablen Showdown zeichnerisch zur Vollendung bringt. Auf den größten Bogen, durch den mittig der Rhein fließt, blickt der Zuschauer noch einmal "in höchster Ergriffenheit", ehe der Vorhang fällt. Diese mächtige Theaterwelt im Kleinen überzeugt, auch wenn die Illustrationen für echte "Wagnerianer" wohl keinen vollwertigen Ersatz für das hautnahe Opernerlebnis darstellen dürften. Ein begleitendes Werk zum opus magnum ist dieses Papiertheater aber allemal. "Ich sage nichts weiter", so Richard Wagner am 21. November 1874, nachdem er in Wahnfried die Götterdämmerung, und damit auch seinen "Ring" vollendet hatte. 

Büchergilde Bilderbogen

Der Ring des Nibelungen nach Richard Wagner - Illustriert von Martin Stark 

Fester goldbezogener Schuber, 4+1 Bilderbogen, beidseitig zweifarbig bedruckt, Das Rheingold, 48x66 cm, Die Walküre, 66x48 cm, Siegfried, 66x72 cm, Götterdämmerung, 96x66 cm, Der Stammbaum, 48x66 cm.

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